Das Risiko Alkohol in den Griff bekommen
In unserem Kulturkreis gehört Alkohol zum Leben. Ob Hochzeiten, Geburtstage
oder andere Familienfeiern - er ist stets dabei. Bei den meisten Festen und
vielen öffentlichen Anlässen wird er angeboten und fördert die Geselligkeit.
Alkohol ist ein Genussmittel und manchmal hilft er kurzzeitig über Schmerz und
Verlust hinweg. Hin und wieder steht er sogar im Zusammenhang mit unserer
Gesundheit in einem scheinbar positiven Licht. Immer öfter zitierte Studien
belegen angeblich, dass Alkoholgenuss in Maßen die Gefahr von Herzerkrankungen
reduziert. Leider werden die gesundheitlichen Auswirkungen hier nur einseitig
betrachtet. Viele Menschen praktizieren einen eher riskanten Umgang mit Alkohol.
Hilfe bieten Programme zum kontrollierten Trinken: Sie ermöglichen ein Umschalten
auf risikoarmen Alkoholkonsum oder tragen dazu bei, dass es bei einem solchen Konsum bleibt.
Wie viel ist zu viel?
Gerade weil es so viele Anlässe gibt, bei denen das Trinken von Alkohol angemessen
erscheint, ist ein bewusster und verantwortungsvoller Umgang mit Alkohol notwendig.
Aber wo liegen die Grenzen unschädlichen Konsums? Die Obergrenze wird von der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) gegenwärtig bei täglich 20 g Reinalkohol für
Frauen und 30 g für Männer als - vermutlich - nicht schädigend veranschlagt. Das entspricht
bei Frauen etwa 0,5 l Bier, 0,2 l Wein bzw. Sekt oder etwa drei einfachen 40 %-igen Schnäpsen;
bei Männern ist die anderthalbfache Menge zugrunde zu legen. Nach neueren Erkenntnissen ist
die unschädliche Tagesmenge Alkohol wesentlich niedriger anzusetzen. Die
Britische Ärztevereinigung
(British Medical Association, BMA) spricht sich für 1 bis 2 abstinente Tage pro Woche aus.
Wie sich der Konsum von Alkohol auswirkt, hängt sehr stark vom Einzelfall ab. Da Alkohol
für den Körper ein Gift ist, das abgebaut werden muss, kann man Schäden infolge von
Alkoholkonsum nie ausschließen.
Die von der WHO genannten Grenzwerte werden von ca. 10 % der Bevölkerung täglich
deutlich überschritten. Das Risiko für die somatische (körperliche) und psychische
Gesundheit erhöht sich in der Folge drastisch.
Wo stehen Sie persönlich?
Wer mehr über die eigenen Trinkgewohnheiten wissen möchte, sollte in einem ersten
Schritt eine persönliche Bilanz ziehen. Ein "
Trinktagebuch" kann dazu dienen, selbst
Antworten auf die folgenden Fragen zu finden: Wie viel trinke ich? Wann trinke ich? Mit
wem trinke ich? Aus welchem Beweggrund bzw. Anlass trinke ich? Gibt es wiederkehrende
Muster? Das Trinktagebuch kann etwa für die letzte Woche oder für eine "typische Trinkwoche"
ausgefüllt werden.
Eine persönliche Rückschau, z. B. mit Hilfe des Trinktagebuches, führt oftmals zu
überraschenden Erkenntnissen. Vielleicht wird auch schon deutlich, auf welches Glas
"zu viel" verzichtet werden kann, damit der Alkoholkonsum wieder in normale Bahnen kommt.
Ein bewusstes "Nein" in bestimmten Situationen hilft, das Trinken nicht zu einer
unkontrollierbaren Gewohnheit werden zu lassen.
Unterstützung suchen
Nun gibt es schon viele Menschen, denen ein Umschalten auf risikoarmen Alkoholkonsum
"einfach so" nicht mehr möglich ist. 5,8 Millionen Bundesbürger praktizieren einen
gesundheitlich riskanten Konsum, bei 2,4 Millionen der 18- bis 59-jährigen Bundesbürger
liegt Alkoholmissbrauch vor und 1,5 Millionen Menschen sind alkoholabhängig.
Eine Mehrzahl der Alkoholabhängigen hat des öfteren versucht, dem Alkohol ganz zu entsagen
oder ihn zu reduzieren und immer wieder festgestellt, dass es "einfach so" nicht geht.
In dieser Situation ist Abstinenz das gängige und solide Behandlungsziel, mit dem viele
Menschen das Alkoholproblem und die damit verbundenen Folgeschäden in den Griff bekommen
können. Ärzte, Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen und stationäre Einrichtungen bieten Hilfe.
Eine ausschließliche Ausrichtung der Hilfsangebote auf Abstinenz als einzig mögliches
Behandlungsziel schreckt aber jene ab, die auf Alkohol (noch) nicht verzichten und auch nicht
als "Alkoholiker" etikettiert werden möchten. Die Folgen der Abstinenz für den persönlichen
Alltag erscheinen zu gravierend und unverhältnismäßig, oder aber die Abstinenz wird als
unerreichbares Ziel angesehen. Diese Menschen haben zwar oft ein Problembewusstsein - sie
wollen weniger trinken -, aber der Impuls zur Veränderung bleibt häufig erfolglos, wenn
konkrete Unterstützung fehlt. In der Konsequenz bleibt es bei einem überhöhten bzw. es kommt
zu einem steigenden Konsum. Im Sinne der Schadensbegrenzung wäre jedoch die Reduzierung des
Alkoholkonsums ein wichtiger Schritt.
Neue Formen der Hilfe
Neu und hilfreich für Menschen mit überhöhtem Alkoholkonsum sind Programme und Beratungsansätze zum
Erlernen des reduzierten oder kontrollierten Trinkens. Diese Programme basieren auf internationalen
Studien und Forschungsergebnissen und sind in vielen Ländern (z. B. Australien, Kanada, Großbritannien)
selbstverständlich. Sie ergänzen die auf Abstinenz ausgerichteten Beratungsangebote für Menschen mit
Suchtproblemen.
Für Deutschland wurden die Programme zum kontrollierten Trinken - ein Selbstlern- und
ein ambulantes Gruppenprogramm von Prof. Dr. Joachim Körkel und der Projektgruppe kT
entwickelt und eingeführt.
Das Selbstlern-Programm ist ein intensives 10-Schritte-Programm zur eigenständigen Verringerung
des Alkoholkonsums. Zehn aufeinander aufbauende Schritte geben genaue Anleitungen zur gezielten
Veränderung des eigenen Trinkverhaltens. Zum selbstständigen Erlernen sollte man über einen Zeitraum
von 3 Monaten einen wöchentlichen Zeitaufwand von 1-2 Stunden einplanen.
Für Menschen, die lieber im persönlichen Austausch mit anderen Wege zur Veränderung ihres
Trinkverhaltens suchen, bietet sich das Gruppen-Programm an. Im wöchentlichen Abstand trifft
sich die Gruppe an 10 Abenden. Grundlage der Gruppenarbeit sind umfangreiche Arbeits- und
Informationsmaterialien, die mit Methoden moderner Erwachsenenbildung von erfahrenen Trainern
vermittelt werden.
Beide Programme umfassen u. a. Grundinformationen über Alkohol, Trinktagebuchführung, Selbstbeobachtung,
Zielfestlegung, Umgang mit Risikosituationen und Belastungen, Freizeitgestaltung ohne Alkohol, Umgang mit
Rückschlägen und langfristige Zielabsicherung.
Das "Ambulante Gruppenprogramm zum Erlernen des kontrollierten Trinkens (AkT)" wird seit 1999 mit
großem Erfolg durchgeführt. Die Ergebnisse aus den bisher durchgeführten AkT-Gruppen sind viel versprechend:
- Im Durchschnitt sinkt der Alkoholkonsum auf die Hälfte des Konsums vor dem Programm und er bleibt ein Jahr nach Ende des Programms stabil reduziert.
- Ungefähr die Hälfte der Programm-TeilnehmerInnen scheut sich nun nicht mehr, notwendige, weitergehende Hilfen anzunehmen. Das heißt auch: Manche Teilnehmer entschließen sich während des Programms zur völligen Abstinenz, nun aus eigener Erfahrung und Überzeugung heraus.
Das "10-Schritte-Programm zum selbstständigen Erlernen des kontrollierten Trinkens" steht seit September 2001 zur Verfügung. Auch die Reaktionen von Nutzern dieses Programms zeigen eine deutliche Senkung des Alkoholkonsums und eine hohe Zufriedenheit mit dem Programm.